Mittlerweile gibt es neue Berichte von Augenzeugen. So professionell war die Abwehr wohl doch nicht...:
Passagiere hielten Piraten mit Liegestuhl-Attacke auf
Der Kapitän plauderte noch an der Bar, als Kreuzfahrt-Teilnehmer schon auf die Seeräuber losgingen: Neue Zeugenberichte zeigen, wie dramatisch der Überfall auf die "MSC Melody" ablief. Passagiere übernahmen die erste Abwehr - und kritisieren jetzt die Heldengeschichten der Crew.
Ciro Pinto war sich seiner Sache sicher. Mit einem Drink an der Bar des Kreuzfahrtschiffes "MSC Melody" war der Kapitän recht entspannt, plauderte am Samstagabend mit zwei südafrikanischen Passagieren. Ob die marodierenden Piratenbanden nicht ein Problem seien, fragten die Damen. Nie im Leben, antwortete der erfahrene Seemann. Weit, mehr als 1000 Seemeilen, sei man weg von der somalischen Küste. Unvorstellbar, ja schier unmöglich, dass die Seeräuber in Badelatschen hier zuschlagen könnten.
Der nette Plausch fand ein jähes Ende. Zeugenaussagen zufolge stürzten zwei Passagiere schreiend in die Bar, wild gestikulierend redeten sie auf den Kapitän ein. Am Heck des Schiffes, gleich hinter dem Pool, fahre ein Schnellboot hinter dem riesigen Kreuzfahrtschiff her - darin mehrere bewaffnete Personen mit Maschinengewehren, die schon dabei seien, das Schiff zu entern. Mehrere Passagiere würden verzweifelt Liegestühle und Tische über Bord werfen, um die Angreifer abzuwehren.
In diesem Moment krachten die ersten Schüsse. Der Kapitän begriff nun, was los war.
Er funkte einen Alarmcode an die Crew, befahl, dass die Passagiere sofort unter Deck sollten, und rannte auf die Brücke. Die Piraten versuchten weiter, das Schiff zu entern. Pinto schloss den Tresor auf, gab den Sicherheitsleuten an Bord Pistolen. Den Steuermann wies er an, Zickzack zu fahren, um das Boot der Angreifer durch hohe Wellen aufzuschütteln. Angekommen am Heck, feuerten die Wachleute zwei Warnschüsse in die Luft.
Wenige Minuten später war die akute Gefahr gebannt. Völlig überrascht, dass die Besatzung des Kreuzfahrtschiffes bewaffnet war, so die Darstellung der Reederei MSC, zogen sich die Piraten auf ihr Schnellboot zurück - feuerten aber noch einige Salven aus ihren AK-47-Gewehren auf das Schiff. Scheiben zerbarsten, die Kugeln krachten dumpf an die Bordwand.
"Es war wie im Krieg", sagte der Kapitän am nächsten Morgen stolz im italienischen Rundfunk. Professionell hätten Crew und Sicherheitsleute den drohenden Angriff abgewehrt.
Hier gibts das Telefoninterview:
news.bbc.co.uk/2/hi/africa/8019168.stm
"Mit Stühlen hält man doch keine Piraten ab"
Was sich wie das Drehbuch zu einem Hollywood-Thriller liest, hat sich am vergangenen Samstagabend tatsächlich so abgespielt. Neue Augenzeugenberichte von Passagieren ergeben ein wesentlich dramatischeres Bild des Überfalls als bisher bekannt. Pierfrancesco Vago, Chef der italienischen Reederei MSC, bestätigt die Darstellung der Kreuzfahrtteilnehmer SPIEGEL ONLINE als "authentisch". Die neuen Details zeigen, wie knapp das Schiff einer Kaperung entgangen ist. "Wir waren professionell", sagt Vago ziemlich offen, "aber wir haben auch Glück gehabt."
Glück nennt er es; "reiner Zufall" sei es gewesen, sagt indes Passagier Jules Tayler, der sich mit einigen anderen Kreuzfahrtteilnehmern auf dem Achterdeck aufhielt.
Denn zunächst wurde der Überfall von niemandem bemerkt - erst als sich eine Frau intuitiv über die Reling beugte und im Halbdunkel nach unten blickte, fiel ihr etwas auf. Plötzlich drehte sich sich zu ihren Mitreisenden um und sagte: "Huch, da ist ein kleines Boot neben uns!"
Quelle:Von Matthias Gebauer, Mombasa, und Dietmar Hipp
Inzwischen:
Spanische Marine verhaftet Piraten
Die Piraten, welche mutmasslich das italienische Kreuzfahrtschiff "MS Melody" angegriffen haben, sind von der italienischen Marine verhaftet worden. Die Fregatte "Numancia" setzte neun Piraten fest.
Berichten spanischer Medien zufolge beteiligten sich an der Aktion auch Schiffe aus Frankreich, Indien und von den Seychellen.
Die Piraten seien nach dem missglückten Überfall auf die "Ms Melody" geortet worden. Als diese eines ihrer Boote zurückgelassen hätten und es von dem indischen Kriegsschiff "Nirdeshak" aufgefunden worden sei, hätte die italienische "Numancia" die Verfolgung des zweiten Bootes aufgenommen und die Piraten gestellt.
(dpa)